- Inhaltsverzeichnis
- Anfechtungserklärung (§ 143 BGB)
- Anfechtungsgrund (§ 123 BGB)
- Arglistige Täuschung (§ 123 I Alt. 1 BGB)
- Widerrechtliche Drohung (§ 123 I Alt. 2 BGB)
- Drohung
- Widerrechtlichkeit der Drohung
- Widerrechtlichkeit des Mittels
- Widerrechtlichkeit des Zwecks
- Inadäquates Mittel-Zweck-Verhältnis
- Vorsatz
- Kausalität der Täuschung oder Drohung
- Kein Ausschluss
- Keine Bestätigung des Rechtsgeschäfts (§ 144 BGB)
- Keine Verfristung (§ 124 BGB)
- Jahresfrist (§ 124 I BGB)
- Kein Verstreichen von 10 Jahren (§ 124 II BGB)
- Rechtsfolge: Ex tunc Nichtigkeit
Anfechtungserklärung (§ 143 BGB)
Bei der Anfechtungserklärung (AnfErkl) handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige WE.
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Bedingungsfeindlichkeit
Als Gestaltungserklärung ist die AnfErkl bedingungsfeindlich. Zulässig ist aber die Eventualanfechtung, die unter einer sog. innerprozessualen Rechtsbedingung steht, bei der die Anfechtung - anders als § 158 BGB - für den Fall einer bestimmten rechtlichen Beurteilung (durch ein Gericht) erklärt wird.
Bsp.: Anfechtung für den Fall, dass überhaupt ein Vertrag zu Stande gekommen ist
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Adressat (§ 143 BGB)
Die Erklärung erfolgt gegenüber dem Anfechtungsgegner (§ 143 I BGB). Dies ist grds. der Erklärungsempfänger, bei Verträgen der Vertragspartner (s. § 143 II - IV BGB).
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Form & Inhalt
Die AnfErkl ist nicht formgebunden. Sie muss den Begriff ‚Anfechtung‘ nicht enthalten und kann auch konkludent erfolgen.
Ihr muss auch zu entnehmen sein, auf welche Willenserklärung oder welches Rechtsgeschäft sie sich bezieht. Bei Verträgen ist ggf. auszulegen (§§ 133, 157 BGB), ob sie sich auf Verpflichtungs- und/oder Verfügungsgeschäft bezieht (Trennungsprinzip).
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Begründung
Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass die AnfErkl erkennen lassen muss, dass der Anfechtende die WE wegen Willensmängeln nicht gegen sich gelten lassen möchte.
Die weiteren inhaltlichen Anforderungen sind umstritten:
Anfechtungsgrund (§ 123 BGB)
Arglistige Täuschung (§ 123 I Alt. 1 BGB)
- Täuschung durch Unterlassen möglich, wenn Aufklärungspflicht besteht; durch Auslegung im Einzelfall zu ermitteln; grds. muss jede Partei für sie wesentliche Informationen selbst einholen; Aufklärungspflicht aber insb. in folgenden Fallgruppen naheliegend:
- Nachfragen müssen richtig und vollständig beantwortet werden
- Erkennbare Bedeutung der Umstände für den Vertragspartner (Bsp.: wesentliche Mängel einer Kaufsache)
- Drohende Zahlungsunfähigkeit bei Eingehung künftiger Zahlungsverpflichtungen
- Besonderes Vertrauensverhältnis
- Aber grds. keine Aufklärungspflicht bei Bewerbungsgesprächen über Vorstrafen, Schwangerschaft, Parteimitgliedschaft
- Keine Täuschung bei unzulässigen Fragen (Recht zur Lüge)
Bei unzulässigen Fragen ist eine falsche Beantwortung nicht arglistig (a.A. nicht rechtswidrig).
Bsp.: Stellenbewerber dürfen im Einzelfall unzulässige Fragen, z.B. nach Schwangerschaft, sexueller Orientierung oder Religion unwahr beantworten
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- Täuschungen durch Dritte berechtigen zur Anfechtung, wenn der Anfechtungsgegner die Täuschung kannte oder kennen musste (§ 123 II BGB).
- Dritter i.S.d. § 123 II BGB ist nicht, wer im Lager des Adressaten steht (Lagertheorie); d.h. Täuschungen des Stellvertreters (§ 164 I BGB), des Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) oder sonst. Personen, die auf Seiten des Adressaten stehen, werden diesem zugerechnet.
Widerrechtliche Drohung (§ 123 I Alt. 2 BGB)
Drohung
- Bedrohter muss den Eindruck haben, das Übel hänge vom Willen des Drohenden ab; der Hinweis auf eine bereits bestehende Zwangslage oder bereits vollzogene Maßnahmen genügt nicht.
- Drohung kann ausdrücklich oder konkludent und versteckt erfolgen.
- Auf die Person des Drohenden kommt es nicht an; auch Drohungen Dritter kommen in Betracht; § 123 II BGB gilt nur für Täuschungen.
Widerrechtlichkeit der Drohung
Kann sich aus dem Mittel, dem Zweck oder aus der Mittel-Zweck-Relation ergeben.
Widerrechtlichkeit des Mittels
Mittel der Drohung ist rechtswidrig.
Bsp.: Drohung mit Schlägen oder mit Verweigerung von Hilfe in der Not; nicht aber Drohung mit Strafanzeige, mit Anrufung des Gerichts oder mit Betreiben der Zwangsvollstreckung
Widerrechtlichkeit des Zwecks
- Erstrebter Erfolg ist verboten oder sittenwidrig.
- Keine eigenständige Bedeutung, da die Nichtigkeit der WE bereits aus §§ 134, 138 BGB folgt.
Inadäquates Mittel-Zweck-Verhältnis
Verknüpfung von Mittel und Zweck erscheint sittenwidrig.
Bsp.: Anwalt droht unmittelbar vor der Hauptverhandlung mit Mandatsniederlegung, wenn nicht ein höheres Honorar vereinbart wird.
Vorsatz
Drohender muss den Vorsatz haben, eine WE mit dem abgegebenen Inhalt herbeizuführen.
Kausalität der Täuschung oder Drohung
Die Kausalität der Täuschung oder Drohung fehlt, wenn der Erklärende die WE auch ohne Täuschung oder Drohung abgegeben hätte.
Kein Ausschluss
Keine Bestätigung des Rechtsgeschäfts (§ 144 BGB)
Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Anfechtende das Rechtsgeschäft in Kenntnis aller Anfechtungsgründe bestätigt hat. Strittig ist, ob die Bestätigung zugangsbedürftig ist.
Keine Verfristung (§ 124 BGB)
Jahresfrist (§ 124 I BGB)
- Die Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung muss innerhalb eines Jahres erfolgen (§ 124 I BGB)
- Die Frist beginnt bei der Täuschung mit deren Entdeckung, bei Drohung mit dem Ende der Zwangslage (§ 124 II 1 BGB)
- beachte die Möglichkeit der Zurückweisung einseitiger Rechtsgeschäfte gem. § 174 BGB, wenn die Anfechtung durch einen bevollmächtigten Stellvertreter erfolgt
- Die Frist ist nach h.M. nur gewahrt, wenn die Erklärung innerhalb der Frist zugeht. § 121 I 2 BGB soll keine analoge Anwendung finden
Kein Verstreichen von 10 Jahren (§ 124 II BGB)
Auch bei Unkenntnis vom Anfechtungsgrund oder Fortbestehen der Zwangslage ist die Anfechtung 10 Jahre nach Abgabe der ursprünglichen Erklärung ausgeschlossen.
Rechtsfolge: Ex tunc Nichtigkeit
- Die angefochtene WE wird so behandelt, als wäre sie von Anfang (ex tunc) nichtig.
- Bei bereits vollzogenen Arbeits- oder Gesellschaftsverträgen tritt die Nichtigkeit grds. ausnahmsweise erst mit der Anfechtungserklärung ein (ex nunc), da eine Rückabwicklung regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist; dies gilt nicht, wenn die Rückabwicklung einfach möglich ist oder vorrangige Interessen wie der Schutz Minderjähriger betroffen sind.
- Bei Teilnichtigkeit richten sich die Folgen nach § 139 BGB.
- Sofern die Anfechtung zur Nichtigkeit eines Verpflichtungsgeschäfts führt, bleibt das Verfügungsgeschäft hiervon zunächst unberührt (Trennungs- & Abstraktionsprinzip). Eine Rückabwicklung erfolgt i.d.R. über §§ 812 ff. BGB. Bei § 123 BGB werden aber häufig auch etwaige Verfügungsgeschäfte vom Anfechtungsgrund betroffen sein.
- Anders als bei der Anfechtung nach §§ 119 oder 120 BGB ist bei der Anfechtung nach § 123 BGB kein Schadensersatz nach § 122 BGB zu leisten.